TikTok – Paradebeispiel für “Failed Media”

Junge Zielgruppe, wachsender Marktanteil, dynamische Inhalte – vom Marketing wird TikTok bereits als ein Medium der Zukunft gefeiert. Geht man nach Leads und Klicks mag das durchaus sein, aber in seinem Kern ist TikTok ein Paradebeispiel für “Failed Media”.

TikTok ist eine Plattform für kurze Video-Schnipsel mit social Media Funktionen. Videos von Nutzern können ähnlich wie bei YouTube abonniert werden, außerdem gibt es eine Hashtag-Funktion ähnlich wie bei Twitter. Ursprünglich bekannt wurde die Plattform für Lipsync- und andere musikbezogene Videos. Inzwischen werden aber auch immer mehr andere Inhalte über TikTok verbreitet.

“Failed States”, also gescheiterte Staaten zeichnen sich unter anderem durch mangelnde staatliche Ordnung, Verletzung von Menschenrechten und Bildung rechtsfreier Räume aus. Das kommt einer Beschreibung von TikTok schon sehr nah. Der chinesische Hybrid aus Videoplattform und sozialem Medium diskriminiert nämlich seine Nutzer: Die Algorithmen der Plattform beschränken die Reichweite von Menschen mit Behinderungen, Übergewicht und queeren Neigungen.

Menschenrechte gelten nicht

Menschen, die von der gesellschaftlichen Norm abweichen, werden also von TikTok dafür mit künstlich beschnittener Reichweite dafür abgestraft. Wirft man nun einen Blick auf Artikel 1 und 2 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dürfte klar werden, wie nah TikTok als Failed Media an der Definition eines Failed State ist:

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.

Artikel 1, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.

Des weiteren darf kein Unterschied gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebietes, dem eine Person angehört, gleichgültig ob dieses unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder sonst in seiner Souveränität eingeschränkt ist.

Artikel 2, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Neben der offenen Diskriminierung von Randgruppen, steht TikTok wegen mangelndem Daten- und Jugendschutz in der Kritik. Das ist insbesondere deshalb bedenklich, weil die Zielgruppe des Mediums sehr jung und dadurch leicht beeinflussbar ist. Viele Jugendliche wissen nicht, was mit ihren Daten und Videos passiert und wie diese genutzt werden können. Auch Mobbing ist ein Problem der Plattform, das durch häufig mangelnde Moderation weiter befeuert wird.

Daten werden weitergegeben

Um TikTok zu nutzen, ist zwar keine Anmeldung nötig (wohl um mögliche Einstiegsbarrieren zu verringern), Daten werden aber dennoch erfasst. Die Videoplattform identifiziert Nutzer beispielsweise über die Google-ID. Daten über Nutzungszeit und -dauer sowie angesehene oder geteilte Videos und Suchbegriffe werden erfasst und mit Hilfe von statistischen Modellen weiterverarbeitet. In der Datenschutzerklärung von TikTok heißt es:

Wir leiten aus Ihrer Nutzung der Plattform Ihre Präferenzen, Interessen, Geschlecht und Alter ab, um Inhalte für Sie zu personalisieren. Wir verarbeiten Daten über Ihre Follower, die Likes, die Sie erhalten, und Reaktionen auf Inhalte, die Sie auf der Plattform hochladen.

TikTok Datenschutzerklärung, Stand 29.03.2020

Die so gewonnenen Daten werden dann an Unternehmen wie Facebook verkauft. Dort werden bereits vorhandene Informationen mit den neu gewonnenen Daten angereichert, um zuverlässigere Aussagen über den Nutzer und seine Gewohnheiten treffen zu können (mehr Informationen zur Nutzung und Verarbeitung von Daten findest du im Mediabasics Artikel Datenkraken – Was wissen Google, Facebook und Co?).

Einfluss der chinesischen Regierung

Die Videoplattform zeigt sich nicht sonderlich kritikfähig: Moderatoren sind angehalten, Werbung für andere Plattformen und Kritik an TikTok selbst zu löschen. Kontroverse religiöse Inhalte werden, wenn sie von den Algorithmen als solche erkannt werden, gar nicht erst zugelassen – der Plattformbetreiber hofft durch das Vermeiden heikler Themen Eskalationen entgegenzuwirken. Auch politische Themen sind nicht gern gesehen: Kritik an der chinesischen Regierung oder deren Politik sowie unerwünschte Berichte über Ereignisse wie die Proteste in Hongkong im Jahr 2019 werden länderspezifisch zensiert oder direkt gelöscht. TikTok verfolgt damit was Zensur angeht einen ähnlichen Kurs wie die chinesischen Staatsmedien.


Weiterführende Informationen findest du unter den folgenden Links:

TikTok Datenschutzerklärung: https://www.tiktok.com/legal/privacy-policy?lang=de
TikTok Cookie Richtlinie: https://www.tiktok.com/legal/tiktok-website-cookies-policy?lang=de

Netzpolitik.org zu Zensur bei TikTok: https://netzpolitik.org/2019/gute-laune-und-zensur/
Süddeutsche Zeitung zum Datenschutz bei TikTok: https://www.sueddeutsche.de/digital/tiktok-ueberwachung-daten-kritik-1.4709779

Simon Crins

Simon Crins ist Medienexperte mit den Fachbereichen Medienproduktion und Medientechnik. Nach seiner Ausbildung zum Mediengestalter Bild und Ton bei ProSiebenSat.1 in München absolvierte Crins sein Bachelorstudium im Fach Medien und Kommunikationsmanagement an der SRH Fernhochschule. Währenddessen war er für die ProSiebenSat.1 Gruppe unter anderem als Produktionsplaner und Projektleiter tätig. Seit Ende 2018 arbeitet Simon Crins für Umlaut SE im Raum Braunschweig/Wolfsburg als Projektleiter im Bereich Infotainmententwicklung. Weitere Informationen über den Autor finden Sie unter www.simoncrins.de

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